Die interpretatorische und theoretische Auseinandersetzung mit den Werken Anton Bruckners ist zweifellos eine der wichtigsten Säulen im Wirken Eugen Jochums. Seit Beginn seines Schaffens spielen v.a. die Symphonien Anton Bruckners eine zentrale Rolle in Jochums Konzertprogrammen. Nicht nur sein Debüt bei den Münchner Philharmonikern 1926, das gewissermaßen den Startschuss für seine internationale Laufbahn gab, bestritt er mit Bruckner, auch in Berlin (1932), Hamburg (1934) und beim Bayerischen Rundfunk (1948) stellte er sich jeweils mit der Fünften Symphonie vor, die Jochum für die „brucknerschste“ hielt.
Die besondere Vorliebe für das Schaffen des Oberösterreichers resultiert vielleicht aus zwei Verbindungen, die es zwischen Jochum und Anton Bruckner gibt: Die tiefe Verankerung in einem praktizierten katholischen Glauben und die frühe Prägung durch die Orgel als Instrument kirchlich-musikalischer Religionsausübung haben dazu beigetragen, dass Jochum wie nur wenige seiner Zeitgenossen einen fast natürlichen Zugang zur Formsprache Anton Bruckners fand. Auch Jochums Lehrer wie Siegmund von Hausegger, einer der führenden Bruckner-Dirigenten seiner Zeit und künstlerischer Berater der ersten kritischen Bruckner-Gesamtausgabe, trugen vermutlich erheblich dazu bei.
Eugen Jochum machte sich durch insgesamt 670 Aufführungen von Bruckner-Symphonien während seiner Laufbahn in außergewöhnlicher Weise um die Verbreitung dieser Werke verdient, und dies zu Beginn einer Zeit, in der Bruckner besonders außerhalb Deutschlands und Österreichs noch keineswegs so selbstverständlich in den Konzertsälen vertreten war. Dabei legte Jochum, so wie sein Lehrer von Hausegger damit begonnen hatte, stets großen Wert auf eine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Fassungen des Notentextes und setzte sich mit seinen Aufführungen für eine Verbreitung der Erstfassungen der Werke ein, so z.B. mit der Uraufführung der Erstfassung des 1. Satzes der Achten Symphonie 1954. Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und den Berliner Philharmonikern realisierte Jochum zwischen 1958 und 1967 als erster Dirigent das Projekt einer Gesamteinspielung aller Symphonien Bruckners. Bis heute zählen Jochums Bruckner-Aufnahmen zu den wegweisenden Interpretationen dieses Repertoires. Auch die großen geistlichen Werke Bruckners spielt Jochum erstmals ein.
In mehreren Schriften befasste sich Jochum aus der Perspektive des Interpreten auch theoretisch mit Bruckners Schaffen. Mit »Zur Interpretation des Finales der Vierten Symphonie von Anton Bruckner« (1935), »Die Originalfassung der Brucknerschen Sinfonien« (1938), »Zur Interpretation der Fünften Symphonie von Anton Bruckner« (1964) und »Zur Interpretation der Symphonien Anton Bruckners« (1967) war er zeitlebens auch in der wissenschaftlichen Diskussion eine wichtige und gehörte Stimme.
Ab 1949 war Eugen Jochum zudem Präsident der deutschen Sektion der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. 1954 wurde er im Rahmen des 12. Internationalen Bruckner-Festes in München mit der Anton-Bruckner-Medaille ausgezeichnet.