Otto Jochum

* 18.3.1898 in Babenhausen, † 24.1.1969 in Bad Reichenhall

Otto Jochum wird am 18. März 1898 geboren. Seine Kindheit verläuft ganz ähnlich zu der seiner Geschwister Eugen und Georg Ludwig. Er erlernt die Instrumente Geige, Klavier, Cello, Orgel sowie Schlagzeug und erhält Gesangsunterricht von seinem Vater. Erste Kompositionsversuche unternimmt Otto Jochum 1910 anlässlich des Namenstages seines Vaters, dem er den »Ludwigsmarsch« widmet. Otto Jochums weiterer Ausbildungsweg zielt zunächst auf eine Berufstätigkeit als Lehrer ab. Von 1911–1914 besucht er die Lehrerpräparandenschule in Mindelheim, anschließend von 1914–1916 die Lehrerbildungsanstalt in Lauingen. Hier kommt er im musikalischen Teil der Ausbildung in Kontakt mit der Musik Max Regers, die ihn entscheidend prägt. Das Komponieren wird in diesen Jahren zum immer wichtigeren Bestandteil in Otto Jochums Leben.

1916 wird Otto Jochum zum Kriegsdienst eingezogen und muss seine Ausbildung vorerst unterbrechen. Er übersteht den Krieg unverletzt. Nach Kriegsende will er ein Studium der Komposition bei Joseph Haas an der Münchner Akademie für Tonkunst aufnehmen. Doch die politisch instabile Situation in München rund um die 1919 ausgerufene Räterepublik lässt dies nicht zu. So wird Otto Jochum doch Lehrer an der Lehrerbildungsanstalt in Lauingen, die er nur wenige Jahre zuvor selbst durchlaufen hatte. Hier ist er für die musikalische Ausbildung der Lehramtsanwärter zuständig und unterrichtet Klavier, Orgel, Gesang und Geige. 1920 erfolgt die Versetzung nach Augsburg. 1922 geht Jochum zwei wichtige Verbindungen ein: zum einen heiratet er am 9. Oktober seine Lehrerkollegin Maria Scheuermann (Geburt von Sohn Peter 1924), zum anderen begegnet er Albert Greiner, dem Leiter und Gründer der Augsburger Singschule. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Lehrer, der Leitung mehrerer örtlicher Laienchöre, einer Organistentätigkeit in der Augsburger Pfarrgemeinde St. Georg und seinem kompositorischen Schaffen macht sich Jochum in dieser Zeit intensiv vertraut mit dem Singschulkonzept Greiners und dessen Ideen zur stimmbildnerischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen.

Trotz eines immensen Arbeitspensums verwirklicht Otto Jochum schließlich doch noch die Idee eines Kompositionsstudiums. Zunächst nimmt er Unterricht bei Fritz Klopper und Heinrich Kaspar Schmid am Augsburger Konservatorium, ab 1926 pendelt er wöchentlich nach München, wo er an der Akademie für Tonkunst bei Joseph Haas und Gustav Geierhaas studiert. 1928 schließt er sein Studium ab, bis 1931 ist er Teil von Haas’ Meisterklasse für Komposition. In den Jahren 1927 bis 1933 komponiert Otto Jochum über 50 Werke. Der Schwerpunkt seines Schaffens liegt auf der Vokalmusik, häufig auf der Grundlage sakraler Texte. So entstehen allein in dieser Phase elf Messen und 150 Motetten. Zum wichtigen künstlerischen Partner wird der Dichter und Schriftsteller Arthur Maximilian Miller, den Jochum 1926 kennenlernt und mit dem ihn fortan eine lebenslange Freundschaft verbindet. Miller liefert von nun an immer wieder die Textvorlagen für Kompositionen Jochums. Am 21. Juli 1932 wird Jochums Oratorium »Der jüngste Tag« op. 28 in Frankfurt uraufgeführt. Für dieses Werk erhält Jochum den Deutschen Staatspreis für Komposition. Zeitlebens bleibt Otto Jochum kompositorisch ungemein produktiv, sein Werkverzeichnis zählt knapp über 200 Kompositionen.

Eugen - Georg Ludwig - Otto Jochum (1955)

1933 wird Otto Jochum Nachfolger Albert Greiners als Direktor der Augsburger Singschule. Unter seiner Leitung leistet die Augsburger Singschule Pionierarbeit auf dem Gebiet der vokalpraktischen Ausbildung von Jugendlichen und Kindern. In der Gesangsausbildung sieht Jochum, dem Singschulkonzept Greiners folgend, den zentralen Schlüssel zu musikalischem Verständnis im Allgemeinen und im gemeinsamen Singen einen wichtigen Beitrag zur Bildung der (Volks-)Gemeinschaft. Ein Hauptbestandteil dieser Arbeit ist die Pflege traditionellen Volksliedguts. Seit 1936 gibt Otto Jochum in den Bänden der Reihe »Aus unserem Singschulgarten« regelmäßig Sammlungen mehrstimmiger Volksliedsätze heraus. In ihren Hochzeiten hat die Augsburger Singschule mehr als 1.500 Schülerinnen und Schüler, von ihr gehen Impulse für die Musikerziehung in ganz Deutschland aus, was Otto Jochum bald landesweite Bekanntheit als Musikpädagoge verschafft. 1935 erfolgt die Gründung des an die Singschule angegliederten Singschullehrerseminars. Diese Einrichtung ist die erste und lange Zeit einzige Ausbildungsstätte für Singschullehrer in Deutschland. Der Chor der Singschule erwirbt sich auf Konzertreisen durch Deutschland unter der Leitung Jochums einen hervorragenden Ruf. Im selben Jahr wird Otto Jochum zum Professor sowie zum Oberleiter der Augsburger Musikerziehungsstätten ernannt. 1938 übernimmt er zusätzlich die Leitung des städtischen Konservatoriums, im selben Jahr erfolgt der Eintritt in die NSDAP. Im Augsburger Musikleben ist Otto Jochum seit 1933 eine der zentralen Persönlichkeiten.

Von Seiten des NS-Regimes und insbesondere der Reichsjugendführung, der u.a. die HJ untersteht, wird Jochums musikpädagogische Tätigkeit aber durchaus auch kritisch gesehen. Führende HJ-Funktionäre sehen darin eine unerwünschte Alternative zu den staatlichen Jugendorganisationen sowie eine Gefährdung der nationalsozialistischen Kontrolle über die jüngeren Generationen. Auch Jochums tiefer katholischer Glaube ist den Offiziellen ein Dorn im Auge. Zwar hatte sich Otto Jochum tatsächlich vereinzelt skeptisch gegenüber der musikalischen Praxis innerhalb der HJ geäußert, deren Kampfgesänge er - vom rein gesangspädagogischen Standpunkt aus - als gefährlich erachtete. Doch in Zeitungsartikeln und anderen öffentlichen Äußerungen, in denen er auf Kritik an seinem Singschulkonzept eingeht, versucht er immer wieder zu betonen, dass die erzieherischen Ideale der Reichsjugendführung und seine pädagogische Arbeit in Augsburg nicht im Widerspruch zueinander stünden, sondern dass die Singschulbewegung durch die musikalische Erziehung der Jugendlichen zu einer »gesunden Volksgemeinschaft« beitragen könne. Ob Otto Jochum aus persönlicher politischer Überzeugung oder aus taktischen Erwägungen so argumentierte, um Beeinträchtigungen seiner Arbeit durch das NS-Regime zu verhindern, bleibt unklar. Die Vergrößerung seines Kompetenzbereichs seit 1933 und die damit verbundene zunehmend öffentliche Stellung Jochums lassen sich jedenfalls nur mit einer weitreichenden Anpassung an die Strukturen des NS-Regimes erklären.

Dennoch wird Otto Jochum 1944 als Direktor der Augsburger Singschule abgesetzt. Er bleibt aber bis Kriegsende, nun etwas abseits des Rampenlichts der Öffentlichkeit, künstlerisch-pädagogischer Leiter. Immer wieder erhält Jochum in dieser Zeit hochkarätige Angebote aus anderen Städten, dort die Leitung der Musikerziehungsstätten zu übernehmen, darunter u.a. die Singakademie sowie der Philharmonische Chor Berlin. 1945 erfolgt die endgültige Entlassung Jochums durch die amerikanische Militärverwaltung. Er erhält zunächst Auftrittsverbot und betätigt sich fortan wieder vermehrt als Komponist. 1947 stuft ihn die Spruchkammer II des Amtsgerichts Augsburg im Entnazifizierungsverfahren als »Mitläufer« ein. Bei der Neubesetzung des Leitungspostens der Augsburger Singschule wird Otto Jochum nicht mehr berücksichtigt. Stattdessen gründet er mit ehemaligen Singschülern den »Otto-Jochum-Chor« und übernimmt ab 1949 die Leitung des wiedergegründeten Singschullehrerseminars. Mit Beginn der 1950er Jahre verschlechtert sich sein Gesundheitszustand zunehmend. Jochum leider an schwerem Asthma und an Gallenproblemen. Immer öfter muss er sich zur Kur nach Bad Reichenhall begeben, zum 1. Januar 1951 erfolgt die endgültige Pensionierung. Schließlich verlegt Otto Jochum seinen Wohnsitz ganz nach Bad Reichenhall, wo er sich nur noch dem Komponieren widmet. 1962 erleidet er einen Schlaganfall, der das Sprachzentrum und das Erinnerungsvermögen einschränkt. Am 24. Oktober 1969 erliegt Otto Jochum einer schweren Nierenerkrankung.